Reisen 1992-1944 | Wilhelm Zwerenz

Der Reiz dieses zurecht in der Sonderkategorie prämierten großformatigen Bandes liegt im Gegensatz des vermeintlich naiven Inhaltes und seiner aufwendigen und raffinierten Gestaltung. In den Jahren zurückschreitend angeordnet, versammelt er Reiseandenken – wie Postkarten, Privatfotografien oder schriftliche Materialen ohne näheren Kommentar – mit offensichtlich literarischen Quellen oder aus Lexika und spezifischen Webseiten bezogenen Informationen zu den besuchten Orten oder den Anlässen dieser Besuche. Die Vielfalt der Textebenen wird anhand unterschiedlicher Schrifttypen deutlich, die auch Faksimiles handschriftlicher Äußerungen des Wilhelm Zwerenz umfassen. Der weiche Leinenumschlag verbirgt die Tücken der japanischen Bindung nicht – und lenkt damit den Blick auf das Innere der eingeschlagenen Seiten: Hier erschließt sich – immer nur teilweise lesbar – mit den Rückseiten der abgedruckten Dokumente und grafischen Darstellungen der Routen – Näheres zu den Reisen von Großweikersdorf aus.

Point of View

Laurien Bachmann sammelt, editiert und macht Bilder. Ihr Kunstbuch erzählt mit Screenshots von einer virtuellen Reise in einer Welt des Massentourismus, die sie zwischen 2019 und 2021 von Amsterdam, nach Barcelona und Berlin zur Chinesischen Mauer über Mallorca zum Mount Everest, weiter zum Taj Mahal bis nach Venedig führt. Via Google Maps Street View eignet sich Bachmann die digital archivierten Bildlandschaften von Panoramabildern an, welche von der App angefragt und von Nutzer*innen bereitwillig hinterlegt worden sind. Die Bildgewinnung erfolgt als Serie über das Editieren und Zusammenstellen von Ausschnitten. So werden Brüche und Fehlstellen in den Bildern sichtbar, die vom Algorithmus in den Nähten zusammengefügter Einzelbilder ›verschluckt‹ worden sind. Bachmann setzt solche Motive – wie halb sichtbare Körperteile oder abgeschnittene Objekte – als Perzepte eines neuen Bildtypus in ihrem Projekt bewusst ein. Automatische Übersetzungen von Bewertungen der Orte begleiten die Bildseitensequenz auf transluzentem Papier. Kulturtheoretische Texte wie additive künstlerische, textliche Beiträge, ergänzen die genähte Weichbroschur im stumpfen Format, gedruckt auf einem am Vorderschnitt gekürzten, eingehängten offenen Naturpapier. Der Kern ist großteils vierfarbig, auf gestrichenem, leichtem Bilderdruckpapier gedruckt. Das weiche Buch mit dem silbrigen Einband überzeugt gestalterisch mit seinen Bezügen zu seinem digitalen Gegenüber und macht Permanenz und Kontakt mit programmierten Bildwirklichkeiten physisch begreifbar.

Denn wenn Chloe Olivia mag ...

Was es heisst, als bildende Künstlerin gestern, heute und in Zukunft zu wirken. Die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit SAFFA 1928.

1929 stellte Virginia Woolf in »A Room of One’s Own« die Frage, was wäre, wenn Frauen genug Geld und ein Zimmer für sich alleine zum Schreiben hätten? Der kleinformatige Band widmet sich den Fragen rund um das Künstlerinnendasein in der Zeit des Aufbruchs und der ersten Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) 1928. Den Texten voran steht eine Liste der beteiligten Künstlerinnen, die trotz beachtlicher Anzahl von 238 Namen keine Bleiwüste, sondern mit großer Sachkenntnis und ausgewogener Typografie, eleganten Ligaturen, Mediävalziffern, ausreichend Einzügen und Durchschuss virtuos gestaltet ist. Die distinktive Farbgebung der Essays basiert auf dem ursprünglichen Farbkonzept der SAFFA-Architektur und wurde für den Offsetdruck in Zusammenarbeit mit dem Haus der Farbe Zürich systematisch abgestimmt. Die Färbung folgt keinem semantischen Ordnungssystem, sondern entfaltet sich intuitiv und
eröffnet Leser*innen gleichermaßen eine historische (farbig) sowie eine assoziative (schwarz) Erzählebene. Die von Mirjam Wirz fotografierten Künstlerinnen-Selbstporträts verbinden sich im schwarz abgegrenzten Bildblock durch die Wandprojektion Filmstills ähnlich miteinander.

Friedl Dicker-Brandeis

Werke aus der Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien

Dem umfangreichen und heterogenen künstlerischen und dokumentarischen Material, das in diesem Band vorgestellt wird, stehen ebenso heterogene Texte und Kommentare zur Seite. Martha Stuttereggers Konzept, diese inhaltliche Strategie in der Gestaltung sichtbar zu machen, resultiert in einem harten Pappband mit tieforange-rotem Vorsatz und Nachsatz, der sich – in einer weniger intensiven Orange-Variante – im Fond jenen Seiten spiegelt, die den direkten Kommentaren zu Bildern (Zeichnungen, Fotomontagen etc.) und Textilentwürfen der Künstlerin gewidmet sind. Dazwischen werden – auf weißem Papier – allgemeine Aspekte des Werkes vorgestellt und zuletzt ihr umfangreicheres und bekannteres architektonisches Oeuvre gewürdigt, bevor eine einzelne tiefblau gefärbte Seite den Beginn des Werkverzeichnisses markiert.

Aus der Dunkelheit (Out of the darkness)

Gebäude und Orte als Akteure der Erinnerung (Buildings and sites as actors in remembrance)

Magazinartig, archivartig, ruhig und dennoch komplex, dicht und dennoch großzügig wirkt die Publikation. Das standardisierte Format (A4) bildet einen interessanten Gegensatz zur sensiblen Papierwahl und herausfordernden Seitengestaltung. Die grundsätzlich beruhigte, handwerklich einwandfreie Typografie wird gebrochen durch Irritationen im Textdetail und unangenehm engen Rändern. Vom Sehen und Lesen transformieren sich eben diese Prozesse in ein Assoziieren und Aufstöbern. Vielleicht ist dies gewollt? Zum Thema passend scheint es allemal. Der Hauptteil der technisch-pragmatisch wirkenden Seiten produziert einen in sich stimmigen Grundrhythmus, das Gesamtwerk wird jedoch synkopiert durch unterschiedliche und komplexe, dem Inhalt entsprechende Layouts und Kompositionen. Die zweisprachige Publikation fordert die Betrachter*innen auf mit konventionellen Lesetechniken zu brechen, Inhalte zu entdecken, eigene Assoziationen zu schaffen und so letztendlich Fragen zu stellen. Sie tut dies mit großem Erfolg.

Wenn der Wind weht / When the Wind Blows

Luft, Wind und Atem in der zeitgenössischen Kunst / Air, Wind, and Breath in Contemporary Art

Der Katalog und die Ausstellung »Wenn der Wind weht« als eine Kooperation zwischen dem Kunst Haus Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien ist den unsichtbaren Elementen der Natur gewidmet und macht diese auf unterschiedliche und doch stimmige Weise sichtbar. Luft, Wind und Atem in der zeitgenössischen Kunst sind in der Gestaltung dieses Bandes von der Materialwahl bis zur Bindung spürbar. Bereits das für den Umschlag verwendete Irisleinen suggeriert nicht nur in seiner Haptik eine leichte, durchlässige Umsetzung des Inhalts. Christian Schienerl ermöglicht in seiner Satzgestaltung durch einen hohen Weißraumanteil eine luftige und ruhige Betrachtung, die hellblauen Teilerseiten unterstreichen diesen Eindruck und laden beim Blättern durch diesen reich bebilderten Band zum Innehalten ein. Auch der Einsatz von breiten Marginalien, weit gesetzten Einzügen und Kapitelnummern wird dem Thema gerecht. Hervorzuheben ist darüber hinaus ein kreativer sowie immer harmonischer und adäquater Umgang mit dem teilweise heterogenen Bildmaterial, das von mehr als 20 Künstler*innen stammt.

Schneelöwe

Heinz Janisch stellt mit der poetischen Erzählung eines Buben, der sich selbst in der Tierwelt als weißer Schneelöwe verortet, die gewichtige Frage nach dem ureigenen Wesen. Ohne moralisch pädagogischen Fingerzeig lädt er zum bewussten Hinschauen ein. Dazu fordern auch die vollständig mit blauem Kugelschreiber gestalteten künstlerischen Bilder von Michael Roher auf. Der innere Wesenszug des Schneelöwen, der sich geschmeidig durch die Welt bewegt und Unrecht nicht stehen lassen kann, überrascht als Schattenbild oder mit Fußabdrücken und lässt uns – dargestellt mit invertierten Farben in einem Tabernakelfalz und somit auch haptisch erlebbar – »dahinter« blicken. Um die Leuchtkraft und Tiefe der verschiedenen Blautöne zu erhalten, wurde bewusst auf matt gestrichenem Papier gedruckt. Die unaufdringliche serifenlose Schrift bleibt im Hintergrund und ist in Abstimmung mit den Illustrationen nicht schwarz, sondern in Mitternachtsblau gehalten. Auf der Umschlagillustration des handlichen Bilderbuchs, die horizontal über die gesamte Buchdecke läuft, verschmelzen Realität und Vorstellung im Krabbeln des Jungen mit dem Schatten des weißen Löwen. Eine beeindruckende Gesamtgestaltung von Wort und Bild.

Axel Koschier

Das Buchobjekt – ein Kunstbuch von Axel Koschier – besteht aus einer Formularsammlung von Frage- und Ausfüllbögen, die üblicherweise von Unternehmen gesammelt werden, um Informationen von ihren Kunden und Kundinnen zu profilieren. Auf gemalten Hintergründen des Künstlers werden diese im Buch auf jeweils einer Doppelseite im Vierfarbdruck dargestellt. Die Bildseiten sind von sechs Texten unterbrochen. Auf Grundlage von ebensolchen Informationen über Axel Koschier, wurden Autor*innen angefragt, Texte in ihrer jeweiligen Muttersprache (Englisch, Spanisch, Deutsch, Italienisch, Japanisch, Französisch) zu schreiben. »So entstanden fiktive Porträts, die von der frühen Kindheit bis in die Psyche des Künstlers reichen.« Die besonders weiche, französische Klappenbroschüre bezieht ihre Flexibilität aus einem 70 g/qm Kraftpapier, das aus Zellstoff gefertigt wird und üblicherweise als Verpackungs- oder Füllstoff zum Einsatz kommt. Die Besonderheit, dass der Künstler als »semi-fiktionale« Person im Buch in Erscheinung tritt, wird von einem konsequent durchgehaltenen Druckexperiment im Schön und Wiederdruck begleitet: Der spiegelverkehrt gesetzte Text ist bloß durchscheinend auf den Textseiten zu lesen. Gestaltet von Astrid Seme, wurde das Buch mit Mark Pezinger Books (Astrid Seme, Thomas Geiger) verlegt. Eine solche integrale Buchproduktion erlaubt es, die Grenzen verschwimmen zu lassen, wie die Gestaltung eines Kunstbuchs entsteht und wie sie im Buchobjekt wirkt.

Anna Schachinger - Treffen

Ein schönes, sympathisches Format hat das Buch. Die groß(zügig)e, creme-farbene Fläche des Einbands ist sowohl auf der Vorder- als auch der Rückseite bedeckt von feinen, welligen, blauen Linien. Diese fügen sich zu menschenähnlichen Wesen zusammen, die über eine Wiese zu eilen scheinen. Die Leser*innen sind dabei aber keineswegs in Eile. Dazu verleitet das Buch nämlich nicht, schon eher zum Erforschen und Entdecken. Man bemerkt z.B., dass die Farbe der Linien durch den blauen Vor- und Nachsatz aufgegriffen wird, dieser wiederum – gleich einem Vorhang –
gibt den Blick auf den Inhalt frei. Die Reise, oder eher die Treffen, beginnen … Der erste von zwei Teilen zeigt Zeichnungen der Künstlerin. Leute, Gesichter, Tiere und Ähnliches entdeckt man. Jedes Umblättern der großformatigen Seiten ergibt ein neues, immersives Treffen mit wundersamen Menschen und weiteren Kreaturen. Ich tauche ein in die möglichen Geschichten, die sich aus den formatfüllenden Linien und Flächen der Zeichnungen ergeben. Der zweite Teil präsentiert die Texte von Margit Mössmer, der Autorin. Die Typografie ist seriös und liebevoll, aber nicht verliebt, nicht formatfüllend, sondern kompakt gesetzt, aber dennoch den Raum der Seite beanspruchend sitzt zuerst der deutsche, dann der englische Text. Das dünne, mappenartige Objekt hebt sich durch äußerste Zurückhaltung in Gestalt und Gestaltung hervor und überzeugt durch eben diese Haltung.

Hier ist Literatur!

Reisen zu literarischen Erinnerungsorten in Niederösterreich

Dieser 536 Seiten starke Bild- und Textband wurde anlässlich des Jubiläums 100 Jahre Niederösterreich aufgelegt und vermittelt den Leser*innen einen Zugang zu lokalen literarischen Erinnerungsorten. Klaus Pichler führt uns mit seinen Fotos, die alle Seiten des Bundeslandes beleuchten, zu 15 ausgewählten Orten der Literatur in Niederösterreich. Die Fotos dokumentieren mit einem Augenzwinkern die Wirkungsstätten bedeutender verstorbener Literat*innen. Großartige österreichische Autor*innen führen uns auf die Spur ihrer Kolleg*innen quer durch das Bundesland. Die Gestaltung ist hell und übersichtlich und verlockt so die Leser*innen zum Querlesen und Entdecken, auch wenn es sich so manches Mal um düstere Orte handelt, an die uns die Texte führen. Das Werk bietet Anregungen für den nächsten Ausflug, tatsächlich oder literarisch, und die Broschur lädt dazu ein auf die Reise mitgenommen zu werden. Matthias Schmidt weckt mit seiner durchdachten und klaren Gestaltung Lust auf Literatur und die Literat*innen dahinter.