Company

Fotografien und Fragmente über das Arbeiten

In ihrer künstlerischen Forschung haben Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider den verborgenen Arbeitsalltag in einem metallverarbeitenden Industriebetrieb untersucht. Das nicht Offensichtliche wird bereits im Umschlag aufgenommen: Der weiße, farblos geprägte, schlichte Titel „Company“ wird mit einem metallischen, silbern spiegelnden Schutzumschlag verhüllt, auf dessen Innenseite wir Büro- und Lagerarbeit in einem Bildstrang sehen. Die Abbildungen, die die Publikation rhythmisieren und die verhandelten Themen vorstellen, sind mehrheitlich in Schwarzweiß gehalten. Die sachliche Gestaltung führt mit unterschiedlichen Akzenten unaufgeregt in die Routine dieser Arbeitswelt ein. Zuerst mit einem flatternd gesetzten Interview, in Englisch und Deutsch zweispaltig über das Glanzpapier gespiegelt. Weißraum und Verdichtung wechseln sich ab. Die Gleichförmigkeit wird mittels der mit Silberfarbe überdruckten Textseiten durchbrochen – eine elektrisierende Überraschung. Dabei wird eine mögliche Bildfläche freigelassen, auf die auf der Folgeseite reagiert wird. Damit öffnet sich ein tiefer, assoziativer Raum außerhalb des Sichtbaren. Ein Aufblitzen in gestalterischer Qualität, die fesselt. Künstlerische Forschung wird dabei treffend in unauffälliger und unaufgeregter Klarheit in ein Buch gegossen.

Melin

Legasthenie und Dyslexie sind Einschränkungen, die familiär, schulisch und gesellschaftlich ein hohes Maß an fachlichem Verständnis und Einfühlungsvermögen verlangen – von der Außenwelt, aber auch von den Betroffenen selbst. Das Buch „Melin“ integriert dieses Thema so perfekt in die Gestaltung, dass es auch für nicht betroffene LeserInnen erlebbar wird. Die leger gehaltene Bindung sorgt für leichte Erreichbarkeit des Stoffes, Schlüsselsequenzen für das Verständnis der Krankheit und der emotionalen und psychischen Folgen sind klar abgesetzt. Druck, Farbgebung und Wahl des Papiers sind einladend, sanft aber solide. Schon genannte Punkte wären auszeichnungswürdig, so wie auch die Auswahl und Verwendung der Schrift „OpenDyslexic“ von Abelard Gonzalez. Den letzten Ausschlag gab aber die Liebe und Sorgfalt, die die Autorin nicht nur dem Thema und den LeserInnen angedeihen lässt, sondern gleichermaßen auch der Gestaltung. Lese-Rechtschreib-Schwäche ist in „Melin“ keineswegs ein Randthema in einer Randpublikation, die erscheint, weil es die Aktualität des Themas gerade verlangt. Melins Besonderheit definiert sich aber nicht nur über den Inhalt, sondern vor allem über die stimmige Farbgebung, den sanften Tonwechsel und den Einsatz der vielfältigen Möglichkeiten des Mediums, um diesen komplexen und vielschichten Inhalt zu vermitteln.

Warning Signs

London, Battle, Hastings 2018

Die österreichische Fotografin Zita Oberwalder führt in ihrem Künstlerbuch „Warning Signs. London, Battle, Hastings 2018“, das in einer nummerierten Auflage von 200 Stück erschienen ist, einen visuellen Dialog mit der Brexit-Metropole und ihren zahlreichen subtilen Warnsignalen. Die Publikation ist in Kooperation mit ihrem Sohn Hannes Mitterberger entstanden, der den zweiteiligen Katalog gestaltet hat. Die wichtigsten Designelemente ergeben sich aus dem Inhalt: Die Farbe Pantone Reflex Blue, die die fadengebundene Publikation wie ein roter Faden durchzieht, erscheint sowohl in den Flaggen Großbritanniens als auch der EU. Die analoge Schwarzweiß Foto-Serie ist Teil von Oberwalders großem Projekt „Hotel Europa“, das mit Poesie die Fragilität der Gegenwart thematisiert. Die Publikation verweist auf die Dystopie der beschilderten Großstadt mit ihrer nahezu endlosen Zahl an Verboten, Geboten und Warnungen. Um der Dringlichkeit des Themas einen taktilen Schwerpunkt zu geben, wurde der zweite Teil der Publikation als beigelegte gefaltete „Zeitung“ konzipiert. Neben vielen düsteren Motiven stellt Zita Oberwalder in der begleitenden Zeitung die Hoffnung in Form eines Gemüsehändlers dar, den sie im Londoner Stadtteil „World’s End“ traf. Er hält ihr eine kugelförmige Frucht entgegen, ganz nach dem Motto: „Es ist noch nicht alles verloren.“

Demokratie und Frieden auf der Straße

Comrade Conrade. Ein Kunst-, Forschungs- und Friedensprojekt in Graz 2016–2019

Die von Nicole Pruckermayr herausgegebene Publikation entstand im Rahmen des gleichnamigen, interdisziplinären Projekts der Grazer Künstlerin. Im Zentrum steht die Conradvon-Hötzendorf-Straße in Graz – benannt nach einem Kriegstreiber des ersten Weltkriegs, der für eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war. In einer Auflage von 500 Stück stellt der zahlreich bebilderte Sammelband  auf über 250 Seiten eine abschließende Diskursplattform des  Projekts dar, in dem die Conrad-von-Hötzendorf-Straße von über 30 Autor*innen und Künstler*innnen aus verschiedenen  Perspektiven beleuchtet wird. Die gelungene Gestaltung der Publikation von Alexandra Möllner verweist auf die Vielschichtigkeit und das Ineinandergreifen einzelner künstlerischer Positionen des Projektes und der damit einhergehenden demokratischen (Ver-) Handlung.  Spannend ist hierbei bereits das Hardcover der Publikation, das in Rot gehaltene Textfragmente aus dem gesamten Buch sowie Schwarzweiß-Bilder zeigt. Durch den Wechsel von Naturpapier zu gestrichenem Papier werden die in Farbe gedruckten Kunst-Projekte im letzten Drittel des Buches subtil von der historischen Aufarbeitung differenziert.

Building Critique

Architecture and its Discontents

Mit dem hochgeprägten Titel, einfärbig in Orange gesetzt, und der vollflächigen Umschlagsinnenseite erhält die in Taschenbuchformat gehaltene Publikation die nötige optische und haptische Aufmerksamkeit. Es ist eine kleine, präzis gefertigte Broschur, in der Positionen zum neuen kritischen Diskurs architektonischer Praktiken versammelt sind. Mit gezielt gesetzten Feinheiten werden die Seiten in souveränem Schriftsatz mit seinen abgestimmten Schriftgrößen und den gewählten Spaltenbreiten gekonnt bespielt. Selbst ein wechselnder Satzspiegel für eine illustrierende, dramaturgische Übersetzung hält die konzentrierte Einheit und verhilft mit großzügig gesetzten Kapiteltiteln zur Leichtigkeit. Der Inhalt ist durchgängig in Schwarzweiß gehalten, bis gegen Ende der Publikation Farbbilder aufflackern. Dies unterstreicht die Qualität im Wissen um einen exakt gewählten Spannungsbogen. Mitherausgeberin der in Englisch publizierten Debatte über neue architektonische Perspektiven ist die Österreichische Gesellschaft für Architektur. Die Publikation ist im Zuge eines Symposiums entstanden und führt uns vor, wie überzeugend wissenschaftliches Publizieren funktionieren kann.

In Frauenkleidung

Der in Wien lebende ungarische Lyriker Zoltán Lesi widmet sich in seinem (erstmals in deutscher Sprache verfassten) Gedichtband den Erfahrungen intersexueller SportlerInnen in den 1930er Jahren. In Zusammenarbeit mit dem Designer Ricardo Portilho collagiert Lesi Textfragmente mit Zeitungsauschnitten und Archivfotografien, die auf mehrdimensionale Weise von den ungewöhnlichen Lebenswegen der ProtagonistInnen erzählen. Zwischen Fiktion, historischen Zeitzeugnissen und persönlicher Dokumentation entfaltet sich eine komplexe Erzählung, die unterschiedliche Biografien miteinander verknüpft. Der Gedichtband erscheint im kompakten Kleinformat, ist präzise gestaltet und zeichnet sich durch klare Feinheiten, wie der offenen Fadenbindung am Buchrücken, aus. Papierwahl, Schwarzweiß-Druck und Handlichkeit des Formats vermitteln das historische Thema auf gelungene Weise und übersetzen die Idee der persönlichen wie fragmentarischen Erinnerungen sehr überzeugend.

Kreuz

Ein österreichischer Comicverlag, eine österreichische Zeichnerin und ihr einzigartiger Stil sind die Basis für die Entscheidung, Jasmin Rehrmbachers „Kreuz“ auszuzeichnen. Die grafische Erzählung verläuft konsequent im Fluss ihrer Bewegung. Handlettering, Gestaltung der U1, die Umschlagseiten und das Papier fließen wie ein einziger Strom. Hier wurde liebevoll und mit Bedacht gehandelt und das, obwohl die Künstlerin „Kreuz“ zuvor schon online zugänglich gemacht hatte. Die Edition Dostal, mit Sitz in Wien und Kassel, hat bei der Printpublikation eine besondere Balance zwischen Tradition und Moderne gefunden. Diese Balance spiegelt auch den Inhalt und Stil von „Kreuz“ wider. Die althergebrachten Strukturen der Gattung sind zwar bestimmend, werden aber auch bewusst durchbrochen. Stilelemente asiatischer Werke entwachsen – gerade durch diese Brüche – ihrem oft allzu engen Rahmen und bilden durch Jasmin Rehrmbachers Kunstgriffe einen eigenen Zugang zur Geschichte. Comics und Graphic Novels gibt es viele, dieses einzigartige Werk von so sorgfältig ausgewählter Machart aus österreichischer Produktion, ist mehr als lesenswert und auszeichnungswürdig.

Meanwhile

Das Künstlerbuch „Meanwhile“ ist eine Sammlung kurzer Comicgeschichten, die in loser Abfolge Szenen von brutalem Aufeinandertreffen darstellen. Der unter dem Pseudonym arbeitende Künstler Burnbjörn hat in holzschnittartigen Zeichnungen eine Reihe von Stimmungsbildern angefertigt, die zugespitzt die Rohheit des Alltags verhandeln oder explizit politisch ausgerichtet sind. Sie verzichten auf jeglichen Text und vermitteln ihre Botschaft direkt und unvermittelt in groben Zügen. Gemacht sind sie nach eigener Angabe für „Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne“. Die in den Geschichten behandelte Grobheit wird in der Gestaltung durch eine Risographie in drei Farben konterkariert. Die 84 vollflächig bedruckten Seiten geben sich inhaltlich wie optisch intensiv. Die Kombination von Gestaltung und Inhalt überzeugt in seiner Direktheit. In zweiter Edition ist das Künstlerbuch in einer Auflage von 250 Stück erschienen, gedruckt in Zusammenarbeit mit der Wiener Druckerei Soybot, die das Buch als Micro Publishing House publiziert hat.

Peter Doig

Während in den letzten Jahren jeder dahergelaufene Katalog als Künstlerbuch bezeichnet wird, verdient sich das Buch zu Peter Doigs Ausstellung in der Secession 2019 diesen Titel mit Bravour – und dazu noch weitere: Livre d’Artiste und Livre de Peintre. Die perfekte Symbiose aus Form, Inhalt und Intention. Das großformatige Buch kommt leicht und hell daher; die Covergestaltung verbannt das übliche „Künstler / Institution/Verlag“ auf den schmalen Rücken und lässt das Arbeitsmaterial des Malers wirken: Die Schablone eines Kopfes, auf leicht gelbliches Papier gedruckt und kaschiert. Der Kern besteht aus – in Schweizer Broschur gebundenen und in perfektem Buchbindehandwerk gefalteten – 9 Lagen, die sich einzeln aufklappen lassen. So verdoppelt sich das Format von 28 x 34 cm auf 56 x 68 cm und wird zu einem überdimensionalen Buchbild, das in Skizzen, Zeichnungen, kleinen Malereien und Schablonen die Arbeit des Künstlers abbildet. Die Reproduktionen sind perfekt, der Druck ebenso. Besser geht es nicht.

Peter Raneburger

Ratio – Tagebuch V

2006 passiert fast nichts. Danach folgt man Peter Raneburgers Tagebucheinträgen kalendarisch bis 2019. Auf mehreren Ebenen geleiten uns persönliche Kommentare, Gedanken und Zitate zum Weltgeschehen durch den Jahresverlauf. Die Zeit läuft als unsichtbares Kalendarium mit, gesetzt in beiger Schmuckfarbe, sichtbar gemacht durch die Mondwechsel. Gefüllte und leere Seiten alternieren und bilden Raneburgers Leben, Gedanken und Werk exakt chronologisch ab. Ein Rhythmus im Jahreslauf wird sichtbar. Theoretische Aufsätze und ein Zwiegespräch sind ebenso chronologisch eingeordnet wie Werkgruppen und Ausstellungsansichten. Typografisch werden die Inhalte nicht gewertet, alle Texte sind gleichberechtigt. Keine Kennzeichnung stört oder lenkt vom Inhalt ab. Nicht nur die Schrift LL Bradford mit ihren besonderen Ziffern überzeugt – alles an diesem Buch, vom Format bis hin zur Ausstattung, ist gekonnt gewählt.