aufzeichnen

Diese Diplomarbeit zeigt, was ein Buch auch sein kann: ein intimer Einblick, auch auf die dunkle Seite des Lebens. Vilma Pflaum wächst als Kind in Otto Mühls Kommunen am Friedrichshof und in Portugal auf, Jahrzehnte später verarbeitet sie das Erlebte zeichnerisch und mit schriftlichen Erinnerungen. Angedeutete Bilder, die mit wenigen Strichen viel erzählen, werden ergänzt durch Textelemente in zurückhaltender Typografie, die nur in dringlichen Situationen ein alarmistisches Rot einnehmen. Die vorsichtigen Sätze suchen sich ihren Platz zwischen den Zeichnungen und schaffen einen Erzählstrom, der mitreißt und gefangen nimmt. Die gekonnt getroffene Papierwahl und der offene Rücken ohne Einband,
der als Metapher für die Schutzlosigkeit verstanden werden kann, machen dieses Buch zu einer auch haptisch eindrucksvollen Publikation, die man gerne regulär veröffentlicht wissen würde.

Heimo Zobernig. Austrian Pavilion Biennale Arte 2015

Energisch umgesetzt korrespondiert diese Begleitpublikation auf vielen Ebenen mit der raumverändernden Installation Heimo Zobernigs im österreichischen Biennale-Pavillon. Der Betrachter des Buches fühlt sich sofort in den klaren, geordneten, aus schwarz-weißen Geometrien gefügten Innenraum des Bauwerks versetzt: die schnörkellose, fallweise skulptural erscheinende Typografie, der in seinem Rhythmus gut nachvollziehbare Wechsel von schwarzen und weißen Seiten; die an Zobernigs Schriftarbeiten erinnernden Doppelseiten, auf denen Autorname, Texttitel und die Angabe der jeweils verwendeten Sprache gleichberechtigt untereinander gestellt sind, oder auch der schwarz eingefärbte Ober- und Unterschnitt von Cover und Kern – sie alle sind Elemente einer Ästhetik, die sich an den Kriterien Transparenz, Klarheit und Korrespondenz von Konzept und Form orientiert. In einem relativ kleinen, bescheidenen Format ist ein dem großen Anlass originell entsprechendes, preiswürdiges Buch gelungen.

Maruša Sagadin. ©MMXV

Kategorie 4: Künstlerbuch

Ästhetische Empfindungen sind dazu da, um sie zu überreizen. Schon das Cover dieses äußerst lebendigen Künstlerbuchs zelebriert streng komponiertes Non-Design, das die Elemente „Titel“, „Inhalt“ und Abbildungen an Stellen verweist, an denen sie üblicherweise unter keinen Umständen positioniert werden, in Größen, die jede vorstellbare Form von Eleganz unterlaufen. Im Innenteil setzt sich das Desaster unmittelbar fort, mit flüssigen Bildpassagen wie fluoreszierenden Bubblegumblasen, unterbrochen von rhythmischen Verschiebungen, trockenen Textpassagen oder auch unsäglich ungestalteten Bildtextseiten. Mit fortlaufender Betrachtung erschließt sich jedoch der große strukturelle Bogen – die Kombination aus Komposition, Farbwahl, Rhythmus, Verdichtung und Entschleunigung –, der dieses Buch zu einem wilden Parcoursritt durch das Format und als künstlerisches Statement zu etwas ganz und gar Besonderem macht.

Raum_ atmosphärische Informationen

Architektur und Wahrnehmung

Das Verhältnis zwischen Atmosphäre, Lichtverhältnissen und subjektiver Wahrnehmung spielt in der Fachliteratur zu Architektur eine überraschend untergeordnete Rolle. Das Grazer Institut für Raumgestaltung versucht mit dieser Publikation diese Lücke zu schließen – und den Charakter von Gebäuden und Räumen zu ergründen und näherzubringen. Das Bild-/Textlayout geht dabei eine feingliedrig gesetzte, abwechslungsreiche Balance ein, wo die Fotografien, gut aufgelockert durch Skizzen und Infografiken, die Seiten tragen, jedoch nicht beherrschen. Die klare, serifenlose Schrift hält sachlichen, respektvollen Abstand und reduziert in Satz und Größe gekonnt die Hierarchie zwischen Lauftext und erklärenden Bildbeschreibungen. Druck und Bindung harmonieren mit dem Inhalt und runden ihn zu einem äußerst vielschichtigen, gelungenen Buch ab.

Joan Mitchell

Retrospective. Her Life and Paintings

Unauffällig und meisterhaft zugleich bewältigt dieser Katalog die schwierige Aufgabe seines Genres, nämlich die Übersetzung der Schaulust eines Ausstellungsbesuchers in ein Orientierung gebendes, intellektuell anregendes Buch. Der Katalog überführt die Raum- und Bilderfahrungen aus der Ausstellung in eine harmonische, dem Betrachter Zeit gebende Folge von sparsam bebilderten Text- und Interviewpassagen, großformatigen Bildtafeln und einem leichthändig reich mit Drucksachen und Vintagefotos ausgestatteten biografischen Abriss. So kommt die äußerste gestische Bewegtheit und subtile Farbigkeit der abstrakten Bilder besonders gut zur Geltung. Nach seitengetreu reproduzierten Skizzenbüchern, die im Detail Einblick in die Arbeitsweise der Künstlerin geben, öffnet sich diese Folge erst im letzten Teil zu komplexeren Ausstellungsansichten. Diese lassen den Betrachter des Kataloges am Ende mit größerem Verständnis erfahren, was der Ausstellungsbesucher erlebt hatte: Licht, Farbe, Transparenz.

Olaf Metzel. Dermaßen regiert zu werden

In Abwandlung eines Michel Foucault-Zitats wird die Publikation zu Olaf Metzels Ausstellung vor allem dem anarchistischen Wunsch des „Nicht-Regiert-Werdens“ gerecht: denn hier wird die Grenzauslotung zum künstlerischen Statement gefasst. Textblöcke bewegen sich bis zum letztmöglich druckbaren Außenrand und verschmelzen als Klötze mit der Seite. Extreme, eigentlich nicht zuordenbare Detailansichten aus der Ausstellung fallen an allen Seiten ab und bilden am Buchende ein physisch ebenso bemächtigendes fotografisches Äquivalent; das Inhaltsverzeichnis wird am Buchrücken abgehandelt, und die Überschriftenseiten erinnern mit ihren Kästchen an Windows 1.0-Verzeichnisse. Der hoffnungslos überdimensionierte Barcode auf der Rückseite setzt einem bewusst plumpen Buch, das auf höchstem Niveau gängige Gestaltungsregeln unterläuft, einen würdigen Schlusspunkt.

Mehr als Zero

Hans Bischoffshausen und die Galerie Hildebrand

Der 1987 verstorbene Künstler Hans Bischoffshausen und die 1961 in Klagenfurt eröffnete Galerie Hildebrand waren von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet lange Zeit die einzig relevanten österreichischen Protagonisten internationaler Avantgardekunst im Umfeld der ZERO-Bewegung. Der Katalog zur Ausstellung vermittelt durch eine modern in Szene gesetzte zeitlose Typografie – serifenlos im hochgezogenen linksbündigen Flattersatz – sowohl die damalige Aufbruchsstimmung eines radikalen, minimalistischen neuen Kunstbegriffs als auch faktenbasiert die historische Dimension von kulturpolitischer Aufbauarbeit einer Galerie. Das ausklappbare gestanzte Cover auf Raufaser-Papier verweist ebenso gekonnt auf die Strukturreliefs von Bischoffshausen, und den ausgiebigen Weißstudien des Künstlers wird mit reichlich Weißraum in den Bildstrecken angemessen Tribut gezollt. Ein perfekt verarbeiteter, professionell gestalteter Ausstellungskatalog, der Thema und Exponate im Griff hat.

Amar Kanwar. The Sovereign Forest

Amar Kanwar beschäftigt sich in seinem zeitlich unbegrenzten Kunstprojekt „The Sovereign Forest“ mit den Auswirkungen der Globalisierung auf seine indische Heimat. Der Katalog zur Ausstellung im Wiener TBA21-Augarten wird den komplexen Arbeiten des Künstlers, die moralische Fragen und konkrete gesellschaftliche Konflikte mit traumwandlerischen
Bewältigungsstrategien kurzschließen, auf mehreren Ebenen gerecht: spannungsgeladen und rhythmisch vertrackt wechseln sich Bild- und Textstrecken, poetisch flirrende Assoziationen und nüchterne Dokumentation, sowie Papierqualitäten, Typografien und gar Formate ab. Die Bilderfolgen vermitteln filmische und dramaturgische Qualität, und verknüpfen die unterschiedlichen Informationsebenen zu einem harmonischen, in sich geschlossenen Buchraum.

Aus 1 mach viel!

Vom Samenkorn zum Festtagsschmaus

Was immer wir essen – es muss zuerst wachsen. Schon der erste Satz in diesem Buch bringt auf den Punkt, wovon dessen 150 Seiten erzählen: den ewigen Kreislauf der Natur, wie wir Menschen ihn zu unseren Gunsten nutzen können, und wie vielfältig Pflanzen als Basis für unsere Ernährung dienen. Als aufgewecktes, jedoch sich nie anbiederndes Spiel-, Beschäftigungs- und Entdeckungsbuch gelingt es diesem handlichen Lexikon mit detailverliebten, sich auf jeder Seite neu ausrichtenden Gestaltungs- und Strukturelementen in sich hineinzuziehen und einen mehr als profunden Überblick über die Vielfalt der Natur zu schaffen. Liebevolle Zeichnungen und zielgruppengerechte typografische Aufbereitung der Erläuterungen holen Kinder in ihrer Welt ab und begleiten sie mit diesem auch herstellerisch hervorragend gemachten Buch für viele Jahre.

Sag Du es Deinem Kinde!

Nationalsozialismus in der eigenen Familie

Nationalsozialisten waren in einer typischen österreichischen Familie nicht die „Anderen“, sondern in der Regel Teil davon. Friedemann Derschmidt geht am Beispiel seiner eigenen Familie der Frage nach, welche Vorzeichen an Weltanschauungen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die spätere Begeisterung am Nazi-Regime erkennbar waren und welche Aspekte davon sich bis in die Gegenwart nachverfolgen lassen. Dem Buch gelingt es durch eine äußerst konsequente, übersichtliche und informative Gestaltung, formale Klischees von damals wie heute auf neue und ungewohnte Weise zu brechen und so Interesse für ein wichtiges Thema zu wecken, von dem man glauben könnte, man habe schon genug gehört. Das Klima der Zeit wird in der Kraft der Seitengestaltung spürbar. Das Buch will nicht „schön“ sein, aber es öffnet einen Raum zwischen Vergangenheit und gegenwärtiger Betrachtungsweise, der es erlaubt, sich auf das Thema intensiv einzulassen.